„Die Zeit rinnt mir durch die Finger;“ „ich habe absolut keine Zeit;“ „ich komme zu gar nichts;“ wie soll ich das nur in der kurzen Zeit schaffen;“„die Zeit frisst mich noch auf:“ All das sind Aussagen von Menschen, die immer mehr unter dieser hektischen Zeit leiden. Viele sind erschöpft und am Ende ihrer Kraft.
Dieses Leben ist immer mehr lebensfremd und lebensfeindlich! Wir drohen, unterzugehen. Wir leben in einer Zeit- und Planungsfalle, die mit Angst vor dem Misserfolg, der Zukunft, vor den Folgen aber auch je länger je mehr mit der Angst verbunden ist, uns selbst zu verlieren.
Diese Zeit, in der wir mittendrin stehen und uns vor ihr mitreissen lassen, ist in der griechischen Mythologie die Zeit des Gottes Kronos. Kronos frass der Sage zufolge seine eigenen Kinder. Und er frisst auch uns buchstäblich auf. Wir sehen mehr und mehr, wie zerstörerisch Kronos mit seinem Zeitdruck ist: Stress mit seinen vielfältigen Folgen gilt als wichtigste Todesursache in den westlichen Industrieländern. Herzinfarkte, Burn-out und viele andere stressassoziierte Krankheiten nehmen immer mehr zu.
Auch in der uns vertrauten Art Ziele zu definieren und Pläne zu machen beherrscht uns zumeist Kronos. Doch wir realisieren auch, dass viele unserer Pläne die Kollision mit der Wirklichkeit nicht oder nur angeschlagen überleben. Wir beginnen zu verstehen, dass unser altes Denk- und Zeitmodell nicht mehr funktioniert. Wir beginnen, aus unserer kollektiven Zeit-Trance zu erwachen und unseren Irrweg zu erkennen.
Und es gibt einen anderen Weg – eine echte und bessere Alternative! Der griechischen Mythologie zufolge hatte Kronos einen Bruder namens Kairos. Kairos steht für die Qualität der Zeit und den günstigen Augenblick. Er repräsentiert die kontemplative Zeit – das Sein im Hier und Jetzt - den wahren Moment; ganz entspannt.
Kairos ist die Zeitqualität der Zukunft – unsere andere, unsere (noch) neue Dimension. Sie weckt unsere Sehnsucht, ist voller Möglichkeiten und sie führt uns zurück zu uns selbst. Kein Wunder beginnen immer mehr Menschen, sich von Kronos zu verabschieden und sich auf die innere Zeitqualität von Kairos zu besinnen.
In der vollständigen Präsenz der Gegenwart realisieren wir, dass die Zukunft immer fiktiv ist; dass sie lediglich eine Konstruktion unseres Geistes, ein Gedanke ist.
Während die Vergangenheit aus erinnern besteht, besteht die Zukunft aus Erwartungen und Hoffnungen. In beiden Zeitelementen sind wir losgelöst vom Hier und Jetzt. Nur in der Gegenwart können wir (er-) leben. Ganz in der Gegenwart zu sein heisst – so paradox es klingen mag – die Chancen zu erkennen, die eben nicht in der Zukunft liegen, sondern uns bereits jetzt umgeben; die ganze Zeit. Kairos erkennt die Chancen des günstigen Augenblicks - anstrengungslos. Und so liegt die beste Vorbereitung auf eine erfolgreiche Zukunft in Kairos.
Schon bald ist die Zeit der Wintersonnenwende. In den alten Kulturen endet mit dem kürzesten Tag auch das Jahr. In unserer Tradition ist es die Zeit zwischen den Jahren, in der wir neue Ziele setzen, Pläne schmieden und „gute“ Vorsätze fassen.
Vielleicht ist dieses Jahr die Zeit, die Zeit neu zu verstehen? Die Zeit, den Bauch sprechen zu lassen, die Intuition, statt den Willen, den Kopf?
In meiner Auszeit habe ich begonnen, die Zeitqualität des Kairos zu verstehen und zu schätzen. Und so plane ich zum ersten Mal seit langem, nichts zu planen, sondern zusammen mit Kairos auf den günstigen Moment zu warten. Er wird kommen!
Kommen Sie mit?
Ihr Jürg Wilhelm
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